Spielvorstellung: Western Town
Western Town ist als Erstlingswerk im Eigenverlag sicherlich etwas besonderes und wurde im Vorfeld von Kollegen viel gelobt und beworben. Das Material ist gewiss sehr schön gestaltet und von deutlich höherer Qualität als manch anderes regulär veröffentlichtes Spiel bei einem Großverlag. Das Spiel funktioniert ohne Anfängerfehler, welche man unter diesen Umständen erwarten und gegebenenfalls sogar verzeihen würde, und hat überdies ein paar wirklich frische Ideen. Die Western-Thematik kommt gut rüber. Alles super soweit. Wieso gehört Western Town für mich aber nicht zu den besten Spielen des Jahrgangs?
Abstrahiert betrachtet ist Western Town ein recht gewöhnliches europäisches Strategiespiel: Ressourcen anhäufen um damit Gebäude zu errichten, die dann dabei helfen besser und schneller Ressourcen anzuhäufen, was zu besseren Gebäuden führt und schließlich zu Siegpunkten in verschiedenen Kategorien verhilft. Nett dabei, dass nicht alle späteren Gebäude in jedem Spiel zum Einsatz kommen, sondern immer nur eine Auswahl zur Verfügung steht. Auch kann bei der Endwertung die eine Kategorie mal etwas mehr zählen als die andere, was während des Spiels nach und nach offengelegt wird. Allerdings sind die wechselnden Gebäude nicht wahnsinnig spannend, manche scheinen sogar etwas stärker als andere, und die wirklich wichtigen sind ohnehin als Grundstock immer dabei. Ein Indianaangriff gehört zum guten Western dazu und kann so auch bei Western Town einen Spieler betreffen. Das kommt jedoch relativ selten vor, ist zum Teil berechenbar und auch nicht wirklich spielentscheidend.
Was Western Town nun aber auszeichnet und das ganze Spiel begleitet, ist eine innovative Kartenmechanik. Errichtete Gebäude gelangen als Karten auf die Hand der Spieler, wodurch sie im Folgenden immer wieder ausgespielt werden können. Zu Rundenbeginn müssen die Spieler aus allen ihren verfügbaren Karten eine Auswahl bis zum Handkartenlimit treffen und überzählige Karten beiseitelegen. Nun werden nacheinander insgesamt zwei dieser Karten ausgespielt um die Gebäudefunktionen zu nutzen, so z.B. Ressourcen einlagern oder neue Gebäude errichten. Anschließend kommt es zu einer Phase bei der Gebäude nocheinmal ganz anders wichtig werden: Hat ein Spieler eine Karte vor sich ausliegen oder auf seiner Hand, die ebenfalls ein anderer Spieler zuvor ausgespielt hat, so darf eine gesonderte „Benutzen“-Fähigkeit des Gebäudes ausgeführt werden, und die Karte des Gegenspielers wird umgedreht. Das hat zwei Folgen: Zum einen kann dieser nun seine Karte nicht mehr derartig für diesen Effekt verwenden, und zum anderen bringen am Ende dieser Phase noch offenliegende Gebäude teilweise einen Bonus, welchen der Mitspieler nun nicht mehr erhalten kann. In diesem Sinne werden also Karten „benutzt“, irgendwann mittendrin noch eine dritte Karte ganz regulär mit der Gebäudefunktion ausgelegt, und schließlich bei Nichtskönnen gepasst. Klingt kompliziert, ist es zuerst auch. Genau wie die Ikonografie wird das aber mit den Partien klarer. Was das alles letztendlich bedeutet ist, dass man sich sehr genau überlegen muss welche Karten man zu Beginn auf die Hand nimmt, um diese Karten dann einerseits für die Gebäudefunktion spielen zu können, oder sie aber, falls die Gegenspieler diese Karte auch haben, „benutzen“ zu können – zum eigenen Vorteil, oder auch nur um dem Gegner den Bonus abzuerkennen. Je höher das Handkartenlimit, welches durch den Bau weiterer Gebäude erhöht werden kann, desto mehr Optionen die Gegner mit den richtigen Karten zu ärgern. Errichtet man ein Gebäude wiederum als einziger, so kann man es stets gefahrlos auslegen. Irgendwo ein Bluff-Spiel also, mit einem gewissen Einfluss. Einem zu geringen Einfluss, für meinen Geschmack. Durch die Spielerreihenfolge und die Aktionen und Auswahl der Mitspieler ist nie wirklich klar, was am Ende heraus- und an welcher Stelle man selbst einmal zum Zuge kommt. Über mehrere Partien habe ich versucht herauszufinden, was aus dieser sehr interessanten Mechanik rauszuholen ist, war gar fasziniert, musste dann aber meiner Befürchtung nachgeben, dass leider nicht sonderlich viel dahintersteckt.
Western Town suggeriert viele spannende Entscheidungen, letztendlich verbirgt sich aber nur ein eher durchschnittliches Spiel hinter der sehr schönen Fassade. Strategiespiel kann man es bei dem Chaos keinesfalls nennen, für ein Bluff-Spiel ist es zu kompliziert und lang. Die Mischung macht’s… für mich kaputt. Viele Details sind meiner Meinung nach nicht ausgereift und so geht leider eine an sich tolle Mechanik mit viel Potential verloren. Der Aufbau ist zudem relativ langwierig und die Regel teils undeutlich. Einen Farb-Fehldruck bei manchen Plättchenrückseiten finde ich hingegen nicht weiter schlimm, da er sich in keiner Weise auf das Spiel selbst auswirkt, sondern nur zur anfänglichen Verwirrung beiträgt. Western Town ist kein total schlechtes Spiel, aber definitiv auch keines der besseren und erst recht nicht so gut, wie es manche darstellen.
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