Ständig werden neue Spiele veröffentlicht. Jede Woche ist mindestens eine Neuheit im Spieltraum auf dem Tisch, in der zeitlichen Umgebung der beiden großen Messen (Nürnberg und Essen) auch noch deutlich mehr. Wie soll man dieser Flut auch nur ansatzweise Herr werden?
Wir werden bestimmt durch Ersteindrücke. Wenn ein Spiel nicht sofort beim ersten Anspielen zündet, wird es sich schwer tun, noch einmal ausgepackt zu werden – dafür gibt es einfach zu viele gute oder potentiell gute (neue, verlockende) Spiele. Warum sollte ich etwas spielen, das mir nur halbgut gefiel, wenn der nächste Hit schon um die Ecke winkt? Oder der Klassiker, den man ja sowieso viel zu selten gespielt hat?
Auf der einen Seite stimmt das sicherlich. Aber sich nur auf den ersten Eindruck zu verlassen, ist vielleicht zu einfach. Denn wie oft täuscht selbiger? Besonders in thematischen Spielen, die sehr variabel und glücksabhängig sind, kann eine Partie kippen und einfach sauschlecht verlaufen. Bei meiner ersten Partie Arcadia Quest beispielsweise habe ich Ingo so dermaßen in Grund und Boden gestampft, dass es schon nicht mehr feierlich war; immerhin erkannten wir beide, dass es wohl so ein bisschen ungewöhnlich gelaufen war und finden beide AQ auch immer noch gut.
Ebenfalls ein Beispiel aus den letzten Wochen: Merchants of Venus spielte ich mit einer Gruppe reiner Eurospieler. Und in dieser Partie war es nun zufällig so, dass alle lukrativen Handelsrouten ewig weit auseinander lagen, fast keine Artefakte zu finden waren und dass das Spiel einfach zäh wie Kaugummi war. Nach knapp drei zähen Stunden hatten wir gerade einmal die Hälfte des Ziel-Vermögens erspielt und gaben auf. Gut, dass ich MoV vorher schon mehrere Male als flottes Zweipersonenspiel erlebt hatte und in mein Herz geschlossen hatte. So konnte ich die Partie als komisches Freakerlebnis abhaken – beim nächsten Mal wird’s wieder besser.
Nicht auszudenken, wenn ich Race for the Galaxy bei meinen ersten Versuchen von seiner „schlechten“ Seite kennengelernt hätte, denn manchmal funktioniert das Spiel einfach nicht. Aber die Gefahr des Totalversagens besteht besonders bei Spielen, die einen nicht zu vernachlässigenden Glücksfaktor haben. Enttäuscht bin ich bisher auch noch von Colt Express, das mir beliebig, unausgeglichen, chaotisch, trotzdem verkopft und dem Thema und der klasse Aufmachung konträr einfach unthematisch vorkam. Vielleicht muss ich es noch einmal spielen?
Bei diesen Kinderspielen, klar!
Aber wie ist es bei Erwachsenenspielen?
Aber selbst Eurospiele, die von Haus aus ein eher schwächeres Glückselement mitbringen, können beim ersten Ansehen schlechter aussehen, als sie es tatsächlich sind. Jüngstes Beispiel (für mich): Istanbul. Zuerst mal sieht es todlangweilig aus, wieder einmal diese typische menzelige¹, romantische Halbrealgrafik, und dann bekommt man – juhu – ein paar Scheiben in seiner Farbe und sammelt dann für die nächste Stunde Klötzchen in mehreren Farben.
An sich schon mal schrecklich, aber was dann kam, habe ich auch so noch nicht erlebt: ich verstand dieses verdammte Spiel einfach nicht. Nein, ich konnte schon erkennen, dass ich z. B. Waren ergattern musste, um sie dann zu verkaufen, um dann mit dem Geld wiederum Edelsteine beim Händler zu erstehen. Aber was sich mir nicht erschloss: wie zum Teufel mache ich das effizient? In meiner ersten unseligen Partie musste ich ständig leer zurücklaufen und zum Brunnen zurückkehren, um die Familienbande wieder einzusammeln. Kein Wunder, dass ich das Spiel erstens von ganzem Herzen hasste, Pegasus und Rüdiger Dorn einen schrecklichen, langsamen Tod wünschte und spektakulär verlor. Supersilke hingegen, das abgefeimte Luder², gewann ebenso spektakulär, was mich tatsächlich ein bisschen (ok: sehr!) freute, da unser Mitspieler D. vorher großspurig angekündigt hatte, dass er Istanbul noch nie verloren hätte.
Ich ärgerte mich – wie konnte es sein, dass ich ein Spiel einfach nicht durchschaue? Werde ich alt und senil? Und dann musste ich mich über mich selbst wundern: ich schlug eine Revanche-Partie vor, die wir auch direkt im Anschluss spielten. Bei dieser gewann ich zwar ebenfalls nicht (die Ehre hatte wiederum Supersilke), schlug mich aber doch deutlich besser. Immerhin hatte ich es begriffen. Und ich muss zugeben: so schlecht ist Istanbul nicht; beste Kumpels werden wir vielleicht nicht unbedingt, aber wenn man sich zufällig mal trifft, kann man sich ja mal gegenseitig ein Bier ausgeben. Oder einen Mokka.
Und die Moral von der Geschicht: manchem Spiel sollte man vielleicht doch eine zweite Chance gönnen. Archipelago selbstverständlich ausgenommen.
Die Angst des Tormanns beim Elfmeter
Schlimm ist diese Angst davor, ein Spiel vorzuschlagen, das man selbst noch nicht gespielt hat und einfach so, aus einer Laune heraus, gekauft hat. Bei mir zum Beispiel Das Schreckliche daran: selbst wenn ich mich durch die Regel gequält und den Ablauf schließlich irgendwann verstanden haben sollte, weiß ich ja noch nicht, ob die alles entscheidende erste Partie gut verläuft oder zufällig doch kippt und ein unbefriedigendes Erlebnis für alle Beteiligten dabei herauskommt. Meine Motivation ist entsprechend zwiegespalten. Einerseits muss [redacted] doch endlich mal auf den Tisch. Andererseits bin ich nachher selbst enttäuscht, und dann muss ich das Spiel mit Verlust verkaufen oder tauschen und ärgere mich. Kennt jemand von Euch dieses Gefühl? Am Mittwoch werde ich den Winter der Toten in den Spieltraum mitbringen. Und ich hoffe, hoffe, hoffe sooooo sehr, dass ich das Spiel lieben werde. Bitte, liebes Spiel, versaue mir das nicht, sondern zeige dich von deiner besten Seite!
1 ja, ich weiß. Nicht Michael Menzel, sondern Andreas Resch hat Istanbul illustriert, und das sicherlich nicht mal schlecht. Finde ich trotzdem langweilig.
2 Zitat aus dieser einen Weihnachtsfolge von Friends: „We never find them. She’s always bested us, that wily … minx.“
Wie recht Du doch hast 🙂
PS: Winter der Toten! Unbedingt! Bisher waren alle Vorschuss-Lorbeeren für Plaidhat Games allerdings völlig berechtigt, daher blicke ich frohen Mutes gen Mittwoch.
Gut geschrieben. Leider falsch. 😛 Archipelago verdient immer wieder eine Chance, Istanbul nicht. Das Spiel ist großer Unfug.
Bei redacted ist das nicht so leicht. Das spiel kann extrem gut sein, aber in einzelnen Partien auch sehr abschreckend. Die Regeln richtig auf die Reihe zu kriegen ist dabei recht wichtig, aber auch echt schwer. Was die da ins Heft gedruckt haben ist schon ziemlich fragwürdig. Auf jeden Fall die ersten Runden NUR mit exakt 4 Spielern spielen! Sonst habt ihr sowieso keine Chance das Spiel zu gewinnen.
Winter der Toten ist super, das ist selbst in den Runden die nicht so prall funktionieren noch viel besser als Istanbul. Nur das empfohlene Szenario für die erste Runde find ich nicht so gut.
Race for the Galaxy hat bei mir glaub ich 10 Anläufe gebraucht bis es geklickt hat. Dann aber richtig, weit über hundert Mal gespielt. Da ist Roll for the Galaxy schon dankbarer und funktioniert direkt gut.
Eigentlich mag ich das wenn Spiele nicht immer oder nicht sofort perfekt laufen. Das ist im Idealfall ja ein Zeichen dafür, dass der Spielablauf nicht so festgefahren ist und das Spiel sich nicht selber spielt.
Im schlimmsten Fall heißt das natürlich dass man grad Istanbul spielt.
Hesy, Hesy … ich hatte Dich bis jetzt immer für vernünftig gehalten. Archipelago … ts, ts.
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Bei [redacted] könnte es – zumindest nach meinem Studium der Regeln, wobei „Studium“ beinahe wörtlich zu verstehen ist – durchaus sein, dass man auch nach zehn Runden noch nicht weiß, wer wessen Partner ist. *Davor* habe ich Angst. Will es trotzdem mal jemand mit mir ausprobieren?
Race for the Galaxy macht es neuen Spielern durch die bescheuerte Ikonographie schon extrem schwer. Irgendwann begreift man sie, aber, Du hast Recht, einige Anläufe sind da schon nötig. Komisch, dass ich trotzdem die ganze Zeit fasziniert von dem Spiel war und es inzwischen auch schon sehr häufig gespielt habe.
Spiele, die nicht immer perfekt laufen, sind natürlich grundsätzlich reizvoll – daher ja auch meine Vorliebe den thematischen Spielen gegenüber – aber die Gefahr des Extremschlechtlaufens besteht, und dadurch auch die Möglichkeit, dass eine Partie total kippt und dass eben ein schlechter Eindruck entsteht. Und im schlimmsten Fall tun alle das Spiel als schlecht ab und man hat nie wieder die Gelegenheit, es zu spielen … obwohl es doch *sonst* so gut ist … glaubt mir … – Aber warum sollte man (des Teufels Advokat spielend) durchschnittliche Brettspiele spielen, wenn es doch so viele gute gibt?
Naja, wenn keiner dem Spiel eine zweite Chance geben will muss halt eine andere Spielgruppe herhalten 😀
Bei redacted solltest du keine Angst davor haben dass ihr nach 10 Runden euren Partner nicht kennt. Hab eher Angst davor dass ihr die Regeln zur Bewegungsunterbrechung und dem Rausschicken aus den Räumen nicht sofort richtig umsetzt. Oder dass ihr nicht versteht wann ihr Raumaktionen nutzen könnt und wann nicht. Oder dass du vergisst die richtigen Räume zu erklären. Vielleicht erklärst du auch Räume, die in dem Szenario gar nicht benutzt werden. Das kann alles dazu führen dass ihr plötzlich nur noch einen Schritt gehen könnt und nix mehr macht als gegeneinander Schere-Stein-Papier zu spielen um euch gegenseitig zu blockieren. Also was ich sagen will… deine Angst ist unbegründet, damit werdet ihr bestimmt kein Problem haben. Hab lieber Angst vor ALLEM ANDEREN!
„Spiele, die nicht immer perfekt laufen, sind natürlich grundsätzlich reizvoll – daher ja auch meine Vorliebe den thematischen Spielen gegenüber“ << hätte ich nicht besser sagen können. Jetzt hab ich direkt wieder Lust auf ein paar solcher Spiele. Ich glaub ich überrede diese Woche noch mindestens drei Leute mit mir Archipelago zu spielen. 😛